Die Idee eines Hebegurtsystemes für Großtiere wird unterstützt durch KickStart Stipendium

Das Team von 5 Maschinenbau-Studenten und ihrem betreuenden Professor der TH Wildau hat sich intensiv der Entwicklung eines innovativen Permanenthebegurtsystems für Großtiere verschrieben. Durch die Verleihung des KickStart Stipendiums wurden nicht nur finanzielle Ressourcen zur Verfügung gestellt, sondern auch wertvolle Unterstützung und Zugang zu Expertenwissen, die es dem Team ermöglicht haben, ihre Idee in die Realität umzusetzen. Benjamin Jankowski, einer der engagierten Studenten, teilt in einem aktuellen Interview nicht nur mit, wie das Stipendium bisher eingesetzt wurde, sondern berichtet auch über den aktuellen Stand und die vielversprechenden Fortschritte, die sie in ihrem wegweisenden Projekt erzielt haben.

Mit der Idee eines Permanenthebegurtsystems für Großtiere konnte eine Studierendengruppe rund um Benjamin Jankowski zusammen mit ihrem Professor im Rahmen des KickStart@FH-Programms überzeugen und erhalten für den Bau eines Prototypen Unterstützungsleistungen bis zu 7.500 Euro. In diesem Interview erzählt er von dem Prozess wie sie darauf gekommen ist und was seine Idee so innovativ und wertvoll macht.

Julian Niedling und Benjamin Jankowski

Hallo lieber Benjamin, erstmal vielen Dank, dass du uns für ein Interview zur Verfügung stehst und auch von uns nochmal herzlichen Glückwunsch an euer gesamtes Team zum Gewinn des KickStart Stipendiums. 

Ihr habt das Stipendium für die Weiterentwicklung und Umsetzung eurer Idee erhalten. Erkläre doch mal kurz was wir uns darunter vorstellen können und was sich hinter der Idee eines Permanenthebegurtsystems für Großtiere verbiergt?

Man hat vielleicht schon einmal im Fernsehen oder in den Sozialen Medien gesehen, wie ein Pferd oder ein Rind aus einem Graben geborgen wurde, aus dem das Tier sich nicht mehr mit eigener Kraft befreien konnte. Dies ist ein meist sehr aufwändiger Prozess, wobei typischer Weise eine größere Anzahl – idealerweise erfahrener – Helfer und ein schweres Gerät (Traktor mit Frontlader, Bagger etc.) zum Einsatz kommen. Ein Großpferd kann ohne Weiteres 700 kg und mehr auf die Waage bringen, das bringt man ohne technische Hilfsmittel aus solch einer unangenehmen Situation nur schwerlich wieder heraus. Wesentlich ist es auch, passende Gurte bzw. Hebesysteme zu haben, damit das Tier nicht während der Rettungsaktion herausrutscht. Es gibt zur Großtierbergung eine Reihe etablierter Gurtzeuge, ebenso auch solche mit denen Pferde nach einer Operation wiederaufgerichtet werden können und sogar mehrere Tage in der Krankenbox aufgehängt und somit auf den Beinen gehalten werden können.

Diesen Systemen allen gemein ist, dass Sie nicht für lange Tragedauern konzipiert sind und dass sich das Pferd auch nicht frei bewegen kann, da es immer auf den Bereich der Aufhängung, typischerweise die Pferdebox, begrenzt ist. Professor Dreyer (Projektleiter) war Besitzer einer alten Stute Namens Tosca, mit einem Gewicht von knapp 700 kg. Aufgrund fortschreitender Verkalkungen der Sehnen und Bänder der Hinterhand hatte Sie zunehmend Schwierigkeiten beim Aufstehen und musste das eine oder andere Mal mittels Traktor aufgerichtet werden. Hierzu benötigt man idealerweise fünf Personen, einen Traktor mit Frontlader mit ausreichender Hubkraft und Gurte, die unter dem Bauch des Pferdes platziert werden. Letzteres ist oftmals nur mittels Drehen des Pferdes über seinen Rücken zu realisieren, was für Mensch und Tier nicht unbeträchtliche Risiken birgt.

Wenn nun ein Pferd regelmäßig (permanent oder temporär) eine solche Aufstehunterstützung benötigt, sei es aufgrund Alters, degenerativer Gelenkerkrankungen, neurologischer Defekte, in der Reha-Phase nach einer Operation, etc. wäre es wünschenswert ein Gurtzeug zu haben, welches permanent am Pferd verbleiben kann und mit dem sich das Tier ohne nennenswerte Einschränkungen komplett frei bewegen kann. Auch als Präventivmaßnahme vor Operationen wäre ein solches System von großem Nutzen. 

Der gesamte Prozess des Aufrichtens ließe sich mit einem Permanenthebegurt, welcher sich Tag und Nacht am Pferd befindet, stark vereinfachen, da das Tier in annähernd jeder Situation unabhängig von seiner Position an jedem Ort (auch an einer schlecht zugänglichen Wand liegend) mit sehr geringem Aufwand wiederaufgerichtet werden kann.

 

Könnt ihr euch noch an den Moment erinnern, wie ihr auf die Idee gekommen seid oder war das ein schleichender Prozess? 

Wie gesagt, Tosca hatte schon seit mehreren Jahren „Start- oder besser gesagt Aufstehschwierigkeiten“. Verkalkungen des Sehnen- und Bandapparates werden bei Pferden mit fortschreitendem Alter typischerweise stärker, so war es auch bei Tosca und die Häufigkeit, mit der sie Hilfe beim Aufrichten brauchte, nahm dementsprechend zu. Eines Tages – nachdem Tosca schon ein gutes Dutzend Mal auf die Beine gestellt wurde kam der Stallbesitzer auf Prof. Dreyer zu und meinte lapidar „Er solle sich mal Gedanken machen …“. Statt des befürchteten „ … das Pferd einschläfern zu lassen… “ kam „ … Gedanken machen, eine Pferdedecke mit Haken zu entwickeln.“ heraus, so dass man das Tier einfach nur an den Traktor einhängen müsse. Diese Idee reifte dann eine Weile und wurde von Prof. Dreyer im Sommer 2019 als Projektaufgabe im Rahmen des Profilspezifischen Projektes an fünf Master-Studenten des Maschinenbaus vergeben. Die fünf Studenten, von denen bisher kaum einer mehr mit Pferden zu tun hatte, als im Streichelzoo, schafften es mit Schwerlastgurten, Klettverschlüssen sowie Schnallen und Karabinerhaken aus dem Alpinsport und Militärshops auf Großmutters Nähmaschine einen Prototypen zu fertigen, mit welchem Tosca zur Weihnachtszeit mittels Frontlader in ersten Tests bereits vom Boden abhob. Die Projektarbeit wurde mit der Übergabe von Prototypen und Projektbericht im Januar 2020 abgeschlossen und vom Dozenten mit der Bestnote 1,0 bewertet.

 

Wie lange arbeitet ihr bereits daran? Wie ist das zeitlich mit der Arbeit/Studium zu vereinbaren?

Der erste Prototyp war naturgemäß noch nicht ausgereift und sowohl für das Pferd als auch für die anhebenden Menschen noch recht unergonomisch. So mussten anfangs noch 8 Schwerlastschlingen einzeln am liegenden Pferd eingefädelt wurden, bevor diese durch Karabinern aus Hochleistungsaluminium und Kletterschlaufen ersetzt wurden. Auch wurde der Gurt in der ersten Version durch einen Militärgürtel am Po des Pferdes am Verrutschen gehindert. Dennoch konnte Tosca mit diesem Prototypen beim ersten „Feldeinsatz“ mittels Frontlader auf Anhieb innerhalb von zwei Minuten auf die Beine gestellt werden.

Um diese Provisorien zu eliminieren und die Nähte, welche an neuralgischen Punkten nach mehreren Einsätzen nachgearbeitet wurden zu optimieren sowie um den Tragekomfort zu erhöhen, wurde eine Masterarbeit vergeben, welche in einen zweiten – verbesserten – Prototypen mündete. Um von Traktoren unabhängig zu werden, wurde noch eine weitere Projektarbeit zur Konzeptionierung eines geländetauglichen Portalkranes vergeben. So konnte der Personalaufwand von ursprünglich fünf auf zwei Personen (mit Traktor) bzw. auf eine Person (mit Portalkran) reduziert werden.

Ist solch ein Hebegurtsystem nicht störend bei dauerhafter Nutzung für die Tiere?

Das Hebegurtsystem ist so konzipiert, dass das Tier keine Einschränkungen durch das Tragen hat. Zur besseren Belüftung und Erhöhung des Komforts kann, insbesondere im Sommer, kann ein zusätzliches luftdurchlässiges Abstandsgewebe in Form einer Decke unter dem Gurt angebracht werden. Potenzielle Scheuerstellen sind mittels Neopren- oder Fellschonern ausgepolstert. Der Gurt ist gegen Verrutschen in alle Richtungen gesichert, so dass auch dadurch keine Einschränkungen entstehen. Das Hebegurtsystem ist ein wenig vergleichbar mit dem Tragen eines Sattels oder eher noch einer Winterdecke, welche auch ein ähnliches Gewicht hat. Daran sind die Tiere ja meistens gewöhnt, daher ergibt sich daraus kein Nachteil. Tosca trug das Hebegurtsystem permanent über mehr als 20 Monate hinweg und tolerierte es uneingeschränkt.

Könnt ihr einmal den aktuellen Stand eurer Umsetzungen für uns beschreiben.

Wir haben bisher zwei Prototypen gefertigt, welche beide wechselweise iterativ weiterentwickelt wurden, während jeweils einer immer am Pferd verblieb. Diese wurden bereits bei über 230 Hebevorgängen erfolgreich eingesetzt (zuzüglich geschätzten 50 Einsätzen als Sturzsicherung beim Schmied, beim Tierarzt etc.). Die Prototypen wiesen nur an einigen besonders beanspruchten Nähten kleinere Beschädigungen auf. Ein weiterer Nachteil ist, dass die Stabilität des verwendeten Gurtmaterials unter den Witterungseinflüssen und eventuell dem Schweiß des Pferdes relativ stark gelitten hat, so dass einige Gurte ausgewechselt werden mussten. Insbesondere die im Halsbereich vernähten Gummibänder haben sich durch die permanente Wechselbelastung stark gelängt und in Ihrer Elastizität stark nachgelassen. Man sieht also es gibt noch genügend Optimierungsbedarf, bevor eine Markteinführung erfolgen kann.

Mit wem habt ihr die Idee umgesetzt? Freunde, Studenten, Kollegen, allein?

Die Idee wurde hauptsächlich von der aus den fünf Maschinenbau-Studenten bestehenden Projektgruppe und Professor Dreyer als Projektleiter entwickelt. Zusätzlicher Input kam vom Stallbesitzer, den Pferdewirtinnen des Reitstalls und den behandelnden Tierärzten. Tosca wurde engmaschig überwacht, unter anderem auch durch Zuhilfenahme eines Smartphones, welches anhand einer App, die den Neigungswinkel misst, feststellen konnte, wann das Pferd liegt und dann eine SMS versendete. 

Ich (Benjamin Jankowski) aus der Projektgruppe wurde nach erfolgreichem Master-Abschluss in der Arbeitsgruppe von Prof. Dreyer angestellt. Aufbauend auf den Ergebnissen der Projektgruppe fertigte ein weiteres Gruppenmitglied eine Masterarbeit zur Optimierung des Prototypen an.

Was habt ihr mit dem Stipendium KickStart vor? Wie wollt ihr es einsetzen? 

In diesem Projekt soll eine Optimierung bezüglich der Gurtmaterialien, Nahtkonzepte und Ergonomie sowie auch Untersuchungen und Überlegungen im Hinblick auf die Marktfähigkeit erfolgen. 

Im Rahmen des Projektes sollen witterungsbeständige Materialien ausgewählt und erprobt werden, und unter Berücksichtigung einer späteren Zertifizierung (GS-Zeichen ö.Ä.) eine Vorzertifizierung des im Rahmen des KickStart Projektes zu fertigenden Prototypen durchgeführt werden.

Was sind die nächsten Schritte? Wenn ihr ein Jahr in die Zukunft blickt, wo soll eure Idee dann stehen?

Als erstes steht die Fertigung einer optimierten Version im Vordergrund. Diese soll, ggf. nach einer Weiterentwicklung, zertifiziert werden, damit man sie zum Kauf anbieten kann. Eine Ausgründung in Form eines Start-ups, eventuell unter Nutzung geeigneter Förderprogramme, wird auch in Betracht gezogen. Unser Wunsch ist es, dass wir auch anderen Tieren mit unserem Hebesystem helfen können. Unser Ziel ist es das Leben von schwachen und gesundheitlich beeinträchtigten Tieren zu erleichtern und zu verbessern. 

Beschreibt doch mal für die Leser*innen die Zielgruppe, welche euer Produkt anstreben soll?

Wir könnten uns denken, dass unser Produkt für Pferdebesitzer, Pferdehöfe, Gnadenhöfe, Tierärzte oder Tierkliniken aber auch Tierparks und Zoos sehr interessant sein kann. So kann z. B. die Lebenszeit von älteren und/oder gesundheitlich beeinträchtigten Pferden verlängert und verbessert werden. In Tierkliniken könnte Pferden vor einer OP das Hebegurtsystem angelegt werden, damit sie nach der OP eingehängt werden können um ein Festliegen in der Box zu vermeiden oder sich nach Festliegen einfach aufrichten zu können. Auf Pferde- und Gnadenhöfen könnte das System Pferden, die Hilfe beim Aufstehen benötigen, angelegt werden. Tiere die sich aus behandlungstechnischen Gründen eine definierte Zeit nicht hinlegen dürfen, können so unkompliziert stabilisiert werden.

Wir danken Benjamin und dem gesamten Team ganz herzlich für die Einblicke! Wir sind gespannt, wie es mit dem Projekt weitergeht und freuen uns, das fertige Permanenthebegurtsystem für Großtiere zu sehen.

Bildmaterial: Benjamin Jankowski

Text: Julian Niedling